Aktuelles Lexikon   Cyberspace

Es wird oft über diesen "Ort" geschrieben und berichtet, den noch kein Mensch betreten hat, der aber dennoch von vielen Menschen bevölkert ist und ein rasantes Bevölkerungswachstum hat. Der Begriff wurde geprägt von William Gibson in sein Science Fiction Roman "Neuromancer". Es gibt zwei wesentliche "Stadtteile" im Cyberspace (zu Deutsch etwa "Rechnerraum") die kaum miteinander verbunden sind, Virtual Reality und die verschiedenen Informationsnetze und -dienste, wie etwa das Internet oder das Multimedianetz WorldWideWeb.

Virtual Reality (VR) umfaßt die verschiedenen Methoden, mit denen rechnergesteuert eine künstliche Welt vorgetäuscht wird. Nach dem Aufsetzen eines großen Helms mit integrierter Leinwandbrille und dem Anstreifen eines Datenhandschuhs taucht die Reisende in eine berechnete Welt ein. Mal ist sie alleine, mal mit mehreren, die entweder selbst über Helm und Handschuh an einem gemeinsames Spiel teilnehmen oder durch den Rechner gesteuert werden. Man sieht die eigene Hand und kann sie verwenden, um sich im virtuellen (= scheinbaren) Raum zu bewegen oder eine Waffe zu greifen, um sich zu verteidigen in den kommenden Abenteuern.

Es gibt ernsthafte Anwendungsgebiete für VR und sehr viele Spielbereiche (und natürlich auch Werbung). In der Architektur, z.B., kann ein Haus konstruiert und von innen besichtigt werden - und wem die Wand an dieser Stelle nicht gefällt, kann sie virtuell packen und wegschieben - es wird schnell ein neues Bild berechnet. Oder Studierende der Medizin können eine Reise durch die Blutgefäße und Organe eines Menschen unternehmen, ohne ein Skalpell verwenden zu müssen.

Im Unterhaltungsbereich entstehen immer häufiger Möglichkeiten, sich für einige Minuten in ein äußerst spannendes VR-Spiel einzukaufen. Waren es vor einigen Jahren eher Werbespots, die man sehen konnte - wenn die Hand eine Tür öffnet, entsteht das Gefühl in ein schwarzes Loch zu fallen, das durch kleine Zigarettenschachtel-Sterne ausgeleuchtet ist - gibt es inzwischen viele Abenteuer- und Kriegsspiele. Es gibt Cafés, wo hauptsächlich Jugendliche sich aufhalten und schon mal einen Wochenlohn einsetzen, um in diese Spielwelten einzutauchen.

Dagegen wirken die Informationsnetze recht nüchtern. Wirtschaftsdaten, Informationssammlungen, Statistiken, Texte, Bilder, Hinweise und Diskussionsforen, es gibt eine schier unübersehbarer Flut von Information. Unser übliches Verständnis von Raum und Zeit verschwindet: es gibt Gesprächskreise, an den Menschen aus verschiedenen Kontinenten gleichzeitig teilnehmen, Briefe sind fast sofort beim Empfänger - ein Email nach Texas ist in etwa 2 Minuten zugestellt, die Bundespost braucht durchaus noch eine Woche, um Post vom Westen Berlins in einen östlichen Bezirk zuzustellen -, man wählt sich nicht die Finger wund, wenn der Partner gerade ein längeres Gespräch führt.

Aber es gibt auch Probleme in diesem Teil vom Cyberspace: es ist oft schwierig, einmal gefundene Information wieder zu finden! Es ist nicht wie in Bibliotheken, wo die Enzyklopädien üblicherweise am selben Ort stehen beim nächsten Besuch; die Informationsanbieterin räumt um oder schmeißt weg, und da nützt das beste Vermerksystem nichts, sie ist nicht wieder auffindbar. Oder man weiß noch - beim letzten Suchen sah ich ein Postleitzahlenverzeichnis, aber wo war es nun schon wieder? Ein so flüchtiges Medium macht zudem das wissenschaftliche Arbeiten schwer - wie zitiert man eine Quelle, die nur virtuell vorhanden ist? Mit solchen Probleme muß man bald zurecht kommen, wenn dieses Medium beherrschbar sein soll.


Literatur: Howard Rheingold, Virtual Reality, Simon & Schuster, NY, 1992

Autor: Debora Weber-Wulff
Erschienen: C & U, Heft 15, 1994.