Aktuelles Lexikon   Hypertext

Der Begriff Hypertext wird verwendet, um Texte zu bezeichnen, die statt der üblichen linearen Stukturen auch Verzweigungen aufweisen, die auf Anforderung sichtbar werden. Schon in traditionellen Texten wird gelegentlich zu einer Fußnote oder einem eingefügten Zitat verzweigt, aber der lineare Fluß des Textes wird dadurch nur kurz unterbrochen. Mit dem Einsatz von Rechnern ist es aber möglich, beliebige Verzweigungen zu definieren, die nicht unbedingt zurück an den Anfang führen.

Ein Hypertext besteht aus mehreren Blöcken (oder Seiten) und Verbindungen (Links) zwischen den Blöcken, die nicht notwendigerweise auf dem gleichen Rechner gespeichert werden müssen. Ein Block kann aus Text, Graphiken, Stand- oder Videobildern, Ton, oder einer Mischung aus allen bestehen, und hat mindestens eine Verbindung: den Weg zurück. Es gibt aber üblicherweise mehrere Verbindungen von einem Block aus, die an Wortfolgen oder Bildteile verankert werden und mehr oder weniger kunstvoll angeordnet sind.

Die Lesefolge wird durch die Leserin bestimmt. Es gibt eine Anfangsseite, von dort wird mit der Maus auf hervorgehobene Textstellen oder Teile von Bildern gezeigt, und mit einem Klick wird der Block, auf den die Verzweigung verweist, übertragen und auf dem Bildschirm dargestellt. Diese Art von Text wurde Anfang der siebziger Jahre von Ted Nelson vorgeschlagen als Alternative zur Computer-Aided Instruction , die durch vorgegebene Lernfolgen die Vermittlung von Wissen mit Hilfe des Rechnereinsatzes versuchte. Nelson postulierte, daß durch das Vorhandensein von solchen Hypertext-Systemen das entdeckende Lernen besonders gefördert würde. Die Lernenden würden Wissenspfade nach eigener Lust und eigenem Tempo verfolgen und würden dadurch viel mehr lernen und mit größeren Enthusiasmus, als sie mit traditionellen Methoden lernen könnten. Sie werden dabei sicherlich anderes lernen, und einiges übersehen, aber Nelson empfindet es mehr als kompensiert durch die Erfahrungen, die mit Freude gemacht werden können.

Sein Vorschlag wurde von vielen wegen fehlender technischer Möglichkeiten als unmöglich abgetan. Als der Macintosh Computer vorgestellt wurde, gab es ein kleines Hypertext-System dafür, HyperCard, das Karteikarten mit lokalen Verbindungen innerhalb des Kartenstapels verwendete. Inzwischen ist sowohl die Rechnerleistung als auch die Rechnervernetzung derart leistungsfähig geworden, daß Hypertextsysteme mehr als nur Spielereien werden können. Es gibt eine einheitliche Sprache für die Erstellung von Hypertexten, HTML (HyperText Markup Language), die als Basis für das sog. World Wide Web (WWW oder W3) dient, dem größten Hypertext, der täglich wächst. Mit HTML können Blöcke auf verschiedene Rechnern und in den verschiedensten Formaten referenziert werden. Ein Link besteht aus einer Kennung für die Textart, die Internet -Adresse für den Rechner, und den Dateinamen. Zum Beipiel bietet meine Fachhochschule unter

http://www.tfh-berlin.de/

eine Hypertext-Anfangsseite, die auf eine Beschreibung unserer Hochschule, auf mehrere Bilder, und auf verschiedene andere interessante Hypertextseiten verweist. Mit Hilfe eines Hypertextlesers wie Mosaic können die Seiten betrachtet und verfolgt werden.

Viele Informationsanbieter, besonders Bibliotheken, bieten inzwischen ihre Dienste über das hypertextbasierte WWW an, dadurch wird eine einheitliche Benutzeroberfläche angeboten. Und mit der Vielfalt von Informationen kommt auch der Nutzen: Nelsons Traum vom selbstgesteuerten Lernen mit Computerhilfe ist Realität geworden.


Literatur:
Theodore H. Nelson, "No more teacher's dirty looks", Computer Decisions , September 1970

Autor: Debora Weber-Wulff
Erschienen: C & U, Heft 16, 1994