Kerstin hat mir am 11. April, zwei Tage vor ihrem Unfall, den Text dieses Lied gefaxt: "Liebe Debbie, magst Du mir den Text übersetzen? Die Feinheiten erahne ich (nur). Tolles Lied, gelt!". Ich habe sie angerufen, das Fax war nicht zu lesen und ich steckte über beide Ohren mit Arbeit, wir vereinbarten, daß sie mir die CD zu meinem Geburtstag mitbringt, wir würden das Lied abspielen und dann die Feinheiten diskutieren. Das können wir nun nicht mehr tun. Ich bin bei Dir in der Wohnung gewesen, fand die CD und einen Zettel daneben, wo Du versucht hast, die schwierigen Redewendungen zu übersetzen. Du hast schon ziemlich viel geschafft. Ich schulde Dir aber noch die vollständige Übersetzung. Wir hören uns den Lied von Tom Waits erst mal an, dann erzähle ich Dir, was ich davon verstehen kann.

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Das Stück heißt

Tom Traubert’s Blues

(der ursprungliche Titel auf der Schallplatte trägt den Zusatz: Four Sheets to the Wind in Copenhagen, besoffen in Copenhagen). In einer Besprechung der Platte schreibt man: eine Geschichte von einem unnötigen Tod zur Unzeit.

Geschwächt und verwundet, es ist gar nicht Schuld des Mondes,
ich habe erhalten, wofür ich bezahlt habe
Bis morgen, hey Frank, kann ich von Dir ein Paar Dollar ausleihen,
damit ich mit Matilda tanzen kann, du wirst mit mir tanzen gehen, Matilda.

["Waltzing Matilda" ist ein australisches Folklied über einen Landstreicher, der festgenommen werden soll für den Diebstahl eines Schafs. Er versucht zu fliehen, indem er schwimmend einen Fluß überqueren will, dabei ertrinkt er. Dieses Lied ist so populär in Australien, daß es als inofizielle Nationalhymne angesehen wird.]

Ich bin ein unschuldiges Opfer einer Sackgasse. Ich bin die ganzen Soldaten hier leid.
Keiner spricht Englisch und alles ist kaputt, und meine Schuhe
[Stacy Adams sind teuere, schicke Schuhe] sind zu durchnäßt, um zu tanzen mit Matilda...

[Hier vermutet jemand, daß "Waltzing Matilda" etwas mit Vietnam zu tun hat, denn dort wurde der Soldatenrucksack als Matilda bezeichnet, weil der Rucksack des Vordermanns "tanzt" wenn man beim marschieren stundenlang darauf starrt. Dieses Lied wurde 1976, als der Vietnam-Krieg zu Ende ging, geschrieben.]

Nun bellen die Hunde, die Taxis parken, aber für mich können sie nichts mehr tun.
Ich flehte dich an, mich zu erstechen, du hast mir mein Hemd nur aufgerissen,
heute Abend bin ich auf Knien um zu tanzen mit Matilda ...

[Auf Knien kann bedeuten entweder bettelnd oder betend].

Der alte Buschmills [vermutlich ein Eigenname (Nachtrag 2003-02-20: Helmut Mankowski klärt mich darüber auf, es ist eine Whisky-Sorte)] - ich torkelte rum,
du hast den Dolch tief eingestochen in deinen Schatten Fenster Licht um tanzen zu gehen mit Matilda...

Nun habe ich meine Christophorus-Medaille verloren
[Er war der frühere Schutzpatron der VerkehrsteilnehmerInnen. Katholiken in USA trugen oft eine Medaille von ihm als Schutz vor Verkehrsunfällen. Er wurde aber 1969 aus der kanonischen Folge gestrichen, warum weiß ich nicht. Kerstin, ich wünsche, ich hätte Dir mal meine geschenkt, denn Du hättest ihn gebraucht.]

Und nun habe ich sie geküßt
und der einarmige Dieb
[oder Bandit] weiß bescheid
und der widerspenstige Chinese
[damit kann auch ein Matrose gemeint sein, der in der Schiffswäscherei arbeitet]
und die kaltblütige Schilder [oder Vorboten]
und die Strip-Tease-Mädchen gehen tanzen mit Matilda...

Nein, ich will Dein Mitleid nicht haben!
Die Flüchtlinge sagen, daß die Straßen nicht mehr zum träumen sind,
die Suche nach dem, der getötet hat
[manslaughter ist töten ohne böse Absicht.]

Und die Geister, die Erinnerungen verkaufen,
die wollen daran beteiligt sein, sowieso und gehen tanzen mit Mathilda...
Du kannst jeden Matrosen fragen, und die Schlüssel des Gefängniswärters,
und die alten Männer in den Rollstühlen wissen, daß Matilda die Angeklagte ist,
sie hat schon fast hundert auf dem Gewissen und sie folgt dir wo immer du auch gehst wenn du tanzt mit Matilda...
Und es gibt einen zerbeulten alten Koffer irgendwo in einen Hotel abgestellt,
eine Wunde, die nie heilen wird. Keine primadonna,
[erste oder tolle Frau] trägt das Parfüm,
ein altes Hemd ist mit Blut und mit Whiskey beschmutzt.
Und gute Nacht zu den Straßenfegern und den Nachtwächtern,
die die Flammen am lodern halten, und gute Nacht auch an Matilda.


Kerstin, man kann aus jedem, nachträglich, versuchen besonderes herauszuziehen, was nicht unbedingt drin steht. Aber wenn ich dieses Lied überblicke, finde ich hier und da gerade die passenden Worte:

Geschwächt und verwundet ... ich bin ein unschuldiges Opfer ... für mich können sie nichts mehr tun ... nun habe ich meine St.-Christopher-Medaille verloren. Nein, ich will Dein Mitleid nicht haben! [Es ist] eine Wunde, die nie heilen wird ... gute Nacht.

Goða nott, lítla vinkona mín, gute Nacht, meine kleine Freundin.

 

Übersetzung von Debbie Weber-Wulff
für die Trauerfeier für
Kerstin Maaß
am 23. April 1997.