Wie schreibt man ein Protokoll?

Ich habe eine hervorragende Beschreibung von der Tätigkeit des Protokollschreibens gefunden: Karl-Dieter Bünting mit Axel Bitterlich und Ulrike Pospiech, Schreiben im Studium: Ein Trainingsprogramm. Cornelsen Scriptor, Berlin. 1996. Es gibt 2002 eine Neuauflage mit CD-ROM (bei Amazon bestellen) .

Ich zitiere hier Seiten 25-31, und ergänze Kommentare von mir:

Die Mitschrift

Zur Grundausrüstung des Studierenden gehören - auch im Zeitalter der Notebooks - Kuli und Schreibblock. Sie ermöglichen es, sich mit Hilfe einer Mitschrift das Gerüst einer Vorlesung oder eines Seminars zu verdeutlichen. Dementsprechend kann es nicht das Ziel der Mitschrift sein, alle Worte der Rede zu notieren. Nicht selten wird dies jedoch versucht, werden die Seiten Zeile für Zeile gefüllt, so daß das Zuhören leidet, weil wie bei einem Diktat geschrieben wird. Zuhören in der Vorlesung bedeutet aber auch Mitdenken, und genau hier kann eine Mitschrift hilfreich wirken. Einige Richtlinien können Ihnen dabei helfen, das Gehörte sinnvoll strukturiert zu Papier zu bringen:

Schreiben Sie erst dann, wenn ein Sinnabschnitt beendet ist.

Wer zu früh schreibt und Gedanken hierbei selbst zu Ende denkt, kann zu anderen Ergebnissen kommen als der Redner. Damit die Mitschrift tatsächlich den Tenor der Vorlesung trifft, sollte man eigene Ergänzungen kennzeichnen. [Insbesondere ist das hektische abpinseln der Folien sinnlos. Ich schicke den Protokollant auch eine Kopie der Folien auf Nachfrage. Ich will aber nicht einfach die Folien aufgelistet sehen. -dww]
Fassen Sie die Hauptgedanken stichwortartig zusammen.

Keinesfalls ganze Sätze wortwörtlich mitschreiben. Das ist schier unmöglich - es sie denn, man kann stenographieren [Und ich empfehle Ihnen, es z.B. in Volkshochschulkurse zu lernen! -dww] - und nicht nötig; eine Mitschrift soll nicht dokumentieren. Wer die Worte eines Vortrags genau zitieren woll, sollte den Redner nach seinem Manuskript fragen oder sich nach einer etwaigen Veröffentlichung eines Referates in Fachzeitschriften o.ä. erkundigen.

Kürzen Sie Wörter sinnvoll ab.

Abk.n. habn. n.d. Sn., w. s. a. spä. no. verständl. s. - Abkürzungen haben nur dann Sinn, wenn sie auch später noch verständlich sind. Daher empfiehlt es sich, über die ohnehin gängigen Abkürzungen (z.B. für 'zum Beispiel', d.h. für 'das heißt' und u. für 'und', usw. für 'und so weiter etc.) hinaus Endsilben zu tilgen oder zu kürzen (z.B. -ung durch -g ersetzen, -lich durch -l u.ä.). Schlüsselwörter können, nachdem sie als solche wahrgenommen sind, durch selbstdefinierte Siglen (feste Abkürzungszeichen) ersetzt werden. Geht es beispielsweise in einem Vortrag um den Expressionismus, kann das Wort im folgenden durch ein einfaches 'E' ersetzt werden. [Sie können auch ein Glossar anlegen in den Sie Abkürzungen notieren. Das hat man zweckmässigerweise auf eine Indexkarte neben sich liegen. -dww]

Notieren Sie Namen und Begriffe möglichst vollständig, um sie auch später noch schnell nachschlagen zu können.

Selbst ein sparsam angewendetes Abkürzungsverfahren empfiehlt sich bei Namen und neu eingeführten Termini, die nur selten vorkommen, nur in begrenztem Maße: Unbekannte Namen und Fachbegriffe sollten nicht abgekürzt werden, da dies das Wiederauffinden in der Fachliteratur unnötig erschwert - selbst bei ausgeschriebenen Namen bleibt die Hürde der Schreibung. [Wenn Sie nicht verstanden haben, was gesagt wurde - gleich nachfragen! Es haben bestimmt alle anderen auch nicht verstanden, nur sie trauen sich nicht, nachzufragen. Keine Scheu vor Fragen! - dww]

Ordnen Sie Ihre Stichwörter auf dem Papier in nicht-linearer Folge so an, daß Zusammenhänge und Beziehungen deutlich werden.

Dieses Schreibverfahren bietet mehrere Vorteile: Zunächst hält es den Schreiber davon ab, entgegen guter Vorsätze doch ganze Sätze zu schreiben. Darüber hinaus kann mit Hilfe von Pfeilen oder ähnlichen zusätzlichen Zeichen der Zusammenhang zwischen einzelnen Gedanken eingetragen werden. Das Ergebnis einer Mitschrift nach diesem Muster sieht ähnlich aus wie ein Tafelbild - an einigen Stellen vielleicht ausführlicher. Beim Wiederlesen wird auf den ersten Blick die Struktur dier Vorlesung deutlich - demjenigen, der sie gehört hat. Wenn eine solche Mitschrift einem Fremden nicht alles erläutert, ist das nur natürlich. [Wer noch keine Mind-Map-Training hat, solle sich das gleich aneignen. -dww]

Lassen Sie beim Schreiben auf dem Papier Raum für nachträgliche Ergänzungen.

Häufig kreisen die Argunnmente eines Vortrags um wenige Kerngedanken. Da Sie die Gesamtaussage einer Rede festhalten und nicht ihren Verlauf dokumentieren wollen, ist es günstiger, die Stichworte logisch und nicht chronologisch anzuordnen.

Notieren Sie Zitatbelege und Literaturhinweise sorgfältig.

Die Mitschrift sollte auch die Anregungen aufgreifen, die in einer Vorlesung gegeben werden. Dabei liegt es in Ihrem Ermessen, ob Sie nur die Zitate, die die Vorlesung tragen, oder auch ergänzende Lektüreempfehlungen notieren oder ob Sie ausschließlich das, was Ihnen lesenswert erscheint, aufschreiben. In jedem Fall ist es praktisch, die Lesehinweise mit einem Zeichen zu versehen, so daß sie beim Überfliegen der Notizen leicht aufgefunden werden können.

Sie sehen, eine Mitschrift ist individuell. Sie kann bei allen Teilnehmern einer Vorlesung verschieden aussehen. Zu Beginn des Studiums wird sie umfangreicher sein als gegen Ende: Häufig wird das Neue, Unbekannte schriftlich fixiert - das Bekannte nicht mehr festgehalten.

Eine Mitschrift einer 90minütigen Vorlesung sollte - je nach Schriftgröße - etwa 3 bis 4 DIN-A4-Seiten nicht überschreiten. Grundsätzlich gilt die Regel 'weniger ist mehr'. Umfangreichere Mitschriften sind wenig übersichtlich und erschweren eine schnelle Orientierung.

Eine gute Mitschrift erleichtert das Mitdenden: Sie halten nicht nur Haupt- und Nebenargumente und die Beziehungen, in die der Redner sie stellte, auf dem Papier fest, sondern fügen eigene, ergänzende oder kontroverse kommentare ein. Wenn Sie so dokumentieren, sind Sie bei einer sich an einen Vortrag anschießenden Diskussion stets im Bilde - ob als Redner oder Zuhörer - und können die Diskussionsbeiträge beurteilen.

Nicht wenigen Studenten dient das Mitschreiben während der Vorlesung auch dazu, bei der Sache zu bleiben. Die Mitschrift selbst wird allenfalls kurz vor einer Klausur, im Rahmen einer Abschlußarbeit oder aus nostalgischen Beweggründen wiedergelesen.

Wer den Stoff der Vorlesung nacharbeiten will, kann dies mit seiner Mitschrift am selben Tag oder auch noch nach einer Woche tin. Es bietet sich an, zu Hause auch Fachliteratur hinzuzuziehen, Zusammenhänge zu formulieren und einige Zitate einzufügen, so daß ein in sich geschlossener Text entsteht.

[Und wir erwarten, dass man für eine 2-stundige Vorlesung auch noch eine Stunde zu Hause den Stoff nachliest! -dww]

Das Protokoll

[...]

Jedes Protokoll hat einen Protokollkopf, in dem Rahmenangaben über Anlaß, Ort, Teilnehmer, Leitung, Beginn und Ende der Sitzung gemacht werden.

[Ich erwarte: Kurs, Semester, Datum, Thema der Vorlesung und Protokollant. Ohne Name keine Note. -dww]

Verschiedene Arten von Protokollen

Protokolle dienen unterschiedlichen Ansprüchen. In einigen Fällen ist es erforderlich, wörtlich zu protokollieren, [...] [Aber nicht in der Vorlesung. -dww]

Die meisten Protokolle werden daher nach Stichworten geschrieben. Deshalb ist es wichtig, den Protokollanten vor der Sitzung oder Diskussion zu bestimmen, damit dieser sich entsprechende Notizen macht. Je nach Anliegen kann er zwischen zwei Prrotokollarten wählen: Er kann ein Verlaufsprotokoll (das den Ablauf einer Sitzung chronologisch nachzeichnet) oder ein Ergebnisprotokoll schreiben (dieses systematisiert die Beiträge zusammenfassend). Verlaufsprotokolle werden in den Naturwissenschaften für die exakte Beschreibung von Experimenten verwendet [und in der Informatik, um den Verlauf einer Parameterexperimentierrunde am Rechner festzuhalten! -dww]; in den geisteswissenschaftlichen Fächern werden häufiger Ergebnisprotokolle eingesetzt, weil sie

Entsprechend unterscheiden sich die beiden Protokollarten in ihrem Aussehen und in ihrer Gliederung.

Im Ergebnisprotokoll werden die formalen Angaben und Diskussionsergebnisse (daher der Name) festgehalten. En enthält:

  1. den Kopf mit Datum,
  2. das Thema der Besprechung oder Sitzung und die Tagsordnung (falls vorhanden),
  3. die Beschlüsse im Wortlaut mit Abstimmungsergebnissen,
  4. die Unterschriften des Protokollführers und des Sitzungsleiters sowie,
  5. Anlagen (hierher gehören Kopien der Anträge, gegebenenfalls mit längeren Bemerkungen und Erläuterungen, sowie Bemerkungen zum Protokoll u.ä.).

Im Ergebnisprotokoll werden die Tagesordnungspunkte in der Reihenfolge behandelt, in der sie auf der Tagesordnung stehen, unabhängig davon, in welcher Reihenfolge sie tatsächlich besprochen wurden. Wenn eine Sitzung ohne Ergebnis endet, werden im Ergebnisprotokoll die gegensätzlichen Standpunkte herauskristallisiert. Bei kontroversen Diskussionen sollte ein Ergebnisprotokoll die Argumente anführen. Randbemerkungen oder vom Thema abweichende Beiträge gehören nicht hierher, ebensowenig persönliche Kommentare des Protokollanten oder die namentliche Erwähnung von Wortmeldungen.

Im Verlaufsprotokoll hingegen wird der Sitzungsverlauf dokumentiert. Es enthält:

  1. den Kopf mit Datum,
  2. das Thema der Besprechung oder Sitzung und die Tagsordnung (falls vorhanden),
  3. Stichworte zum Ablauf der Sitzung, VOrschläge, Einwände, Begründungen (bei wichtigen Wortmeldungen mit Namenshinweis),
  4. die Beschlüsse im Wortlaut mit Abstimmungsergebnissen,
  5. die Unterschriften des Protokollführers und des Sitzungsleiters sowie
  6. Anlagen.

[...]

Die Sprache in Protokollen
Protokolle sollen knapp und sachlich informieren. Sie enthalten weder wertende oder ausschmückende Adjektive noch Konjunktionen, die kausale Beziehungen herstellen. Protokolle werden im Präsens geschrieben, Begründungen und Sachbeiträge werden im Konjunktiv zitiert. Erklärende Zusätze werden in Klammern gesetzt.

Eine konzentrierte Mitschrift bildet die Grundlage jedes ausformulierten Protokolls, das häufig nicht nur schriftlich ausgearbeitet, sondern in der Regel auch mündlich verlesen wird. Grundsätzlich gelten für die protokollorientierte Mitschrift dieselben Richtlinien wie für die persönliche, doch müssen individuelle Auslassungen und Schwerpunktsetzungen zugunsten einer aus den Nachrichten bekannten Objektivität weichen. Egal welche Form des Protokolls Sie wählen:

Versuchen Sie, in Ihrer Niederschrift den Gang der Sitzung bzw. deren Ergebnisse so genau wie möglich wiederzugeben.

Um eine authentische Datstellung zu erreichen, sollten SIe Ihre protokollorientierte Mitschrift noch am Tag der Sitzung zum Protokolltext ausformulieren.

Das Seminarprotokoll

In der Hochschule kommt es vor, daß Protokolle von Seminarsitzungen angefertigt werden sollen. Auch hier wird vor der Sitzung ein Protokollant bestimmt, der über Inhalte, Verlauf und Ergebnisse der Sitzung informieren soll. Ein Seminarprotokoll nennt das Thema der Sitzung, Arbeitsschritte und behandelte Fragestellungen, Teilergebnisse, das Gesamtergebnis und - falls vorhanden - offene Fragen oder Hinweise auf die nächste Sitzung. Tafelbilder, Textauszüge und Thesenpapiere gehören in den Anhang. Man kann im protokoll auf den Anhang verweisen, sollte aber in jedem Falle darauf hinweisen, welches Stellenwert diese materialien im Seminarverlauf hatten.

Versuchen Sie nicht, wörtlich mitzuschreiben - der Sinn des Seminarprotokolls liegt in der Ordnung der Gedanken.

Wer als Dozent die Anfertigung von Seminarprotokollen anregt, erhofft sich zweierlei:

So verstandene Seminarprotokolle sind keine unsinnige Quälerei, sondern dienen der Entwicklung von Routinen, die im Studium und im Berufsleben nützlich sind.

Um eine Seminarsitzung zu protokollieren, bietet sich eine Mischung aus Ergebnis- und Verlaufsprotokoll an.

Es sei denn, der Dozent verlange die eine oder andere Form. [Ich will die Protokolle in HTML verfaßt haben, mit eigenen Links zum Themen, die wir in der Veranstaltung besprochen haben. -dww] Dort, wo - beispielsweise im Vortrag oder in der Diskussion - die Anordnung der Argumente oder das Für und Wider der Meinungen für das Ergebnis relevant erscheint, sollte der Verlauf protokolliert werden.

Beim Verfassen des Protokolltextes ist zu bedenken, daß das Protokoll überblickartig informieren soll, d.h. es sollte sich durch Übersichtlichkeit und Neutralität auszeichnen, das Wesentliche kurz und präzise wiedergeben, ohne zu werten. Es liegt in der Entscheidung des Protokollanten, welche Thesen, Fragen, Beiträge und Stellungnahmen er als bedeutsam für das Ergebnis empfindet. Dennoch sollte er sich um Vollständigkeit bemühen und anstreben, in seinem Protokoll ein wirklichkeitsgetreues Bild der Veranstaltung zu zeichnen. Dies ist Wochen oder Monate nach der Veranstaltung nur noch schwer möglich.

[Bei mir müssen die Protokolle spätestens zur nächsten Sitzung bereit im WWW sein, d.h. ein URL ist an mich übermittelt worden. Denken Sie daran, den Pfadstruktur in Ihren Homebereich vernünftig aufzubauen! Ein Namen wie "protokoll.html" wird spätestens beim zweiten Protokoll problematisch. -dww]


Debora Weber-Wulff <weberwu@fhtw-berlin.de>