Aktuelles Lexikon   Datenautobahn

Al Gore, Vizepräsident der Vereinigten Staaten von Amerika, hat den Begriff der Datenautobahn, information highway , ins Gespräch gebracht. Es ist die Vorstellung einer Infrastruktur für die Vermittlung von Information, die so dicht vernetzt ist, daß es alle Teile eines Landes erreichen kann. Inzwischen wird manchmal von information autobahn geredet, in den USA sind viele Leute von den deutschen Autobahn ohne Geschwindigkeitsbegrenzungen besonders angetan.

Was für Informationen werden über diese Datenbahnen transportiert? Video-Konferenzen und Virtual Reality , Bibliotheksrecherchen und Bulletin-Boards , email und electronic zines (Zeitschriften, die im Netz erscheinen) : so ziemlich alles kann übertragen werden. Problematisch ist nur die "Breite" des Netzes, der Durchsatz an Bits pro Sekunde. In den USA sind sogar die Studentenwohnheime mit Glasfaserkabel ausgelegt, die mit Übertragungsraten von über 100 Megabit pro Sekunde bewegte Bilder in Echtzeit übertragen können. In Deutschland sind durch das Telekommunikationsmonopol hauptsächlich 64 Kilobit-Anschlüsse zu finden, denn die Telekom nimmt astronomisch hohe Gebühren für die Breitbandvernetzung.

Die innovativsten Nutzungen der Datenautobahn werden in den USA und Großbritannien, hauptsächlich an den Universitäten, entwickelt. Einige der mehr oder weniger nützlichen Informationsangebote:

  • Der Kaffeekannenpegel in einer Teeküche an der Cambridge University wird minütlich per Kamera aufgezeichnet und umgewandelt und ist überall auf der Welt zu bewundern;
  • ebenso die Surfbedingungen an der kalifornischen Küste, sowie ein Blick auf den Stau an einem Autobahnkreuz in San Diego;
  • ein interaktiver Froschpräparierkurs, mit der Maus wird ein virtueller Frosch zerlegt;
  • vom Weissen Haus kann man eine Grußadresse von Bill Clinton oder Al Gore - Text und Ton! - anhören, Bilder von der Familie ansehen, sich über die Aufgabengebiete des Präsidentenamtes informieren, oder gleich einen Brief an Bill loswerden.

Es können Waren bestellt, die Hochrechnungen der Wahlen bei der Deutschen Welle verfolgt, Zensusdaten aus den USA angesehen werden - die Liste wächst täglich. Es ist deswegen auch leicht, die Übersicht zu verlieren, wo es welche Information gibt. Mit Hilfe einer Hypertext -Sprache und eines Führungsprogramms ist es möglich, Fundstellen, die interessant sind, festzuhalten und auf einfache Art und Weise wieder zu finden. Aber man kann nie sicher sein, daß die gewünschten Daten tatsächlich immer noch da sind: Der Rechner kann umbenannt oder ausgestellt sein, die Dateninhalte verändert oder verschoben: soll etwas unbedingt in der bekannten Form wiedergefunden werden, muß es auf die eigene Festplatte kopiert werden.

Diese Flüchtigkeit, die viele Vorteile mit sich bringt, birgt auch viele Gefahren. Erscheint ein Buch nur noch virtuell, kann bei Beanstandungen schnell und einfach zensiert werden, Belege für eine Behauptung können anderentags nicht mehr auffindbar sein. Viele Gefahren, vor denen George Orwell schon Ende der 40er Jahren gewarnt hat, sind nun mit 10-jähriger Verspätung möglich geworden, mit Hilfe der Datenautobahn. Es muß schnell gehandelt werden, um möglichst viel Nutzen aus dem technisch Möglichen zu ziehen, ohne eine Gefahr für die Menschheit werden zu können.


Literatur:
Hans Schmidt, "Information Super-Highway: Auf Glas gebaut", Chip 11/94, S. 296-302.
"Datenautobahn", c't 10/94
George Orwell, Nineteen Eighty-Four, Secker & Warburg, 1949.

Autor: Debora Weber-Wulff
Erschienen: C & U, Heft 16,1994